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Liebstes Huhn,

nun, da die Menschen weitestgehend vom Weihnachtsvirus kuriert scheinen – nur noch ein paar Nachwehen in Form von reduziertem Rest-Lebkuchen lassen das weihnachtliche Ausmaß erahnen – und die Hysterie um Sylvester in Katerstimmung übergegangen ist, kann ich mich endlich wieder ins Leben und auf die Straße wagen…um zum Beispiel Briefe an meine gute Freundin Huhn zum Briefkasten zu bringen. Dieser guten Freundin wünsche ich trotz meines Unverständnisses gegenüber dem Sylvester-Mythos ein großartiges 2015. Oder, um sich mal wieder der Worte anderer, klügerer Menschen (ich fand leider kein einziges Zitat eines schlauen Huhns…) zu bedienen:

Man nehme 12 Monate, putze sie sauber von Neid, Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und zerlege sie in 30 oder 31 Teile, so daß der Vorrat für ein Jahr reicht. Jeder Tag wird einzeln angerichtet aus 1 Teil Arbeit und 2 Teilen Frohsinn und Humor. Man füge 3 gehäufte Eßlöffel Optimismus hinzu, 1 Teelöffel Toleranz, 1 Körnchen Ironie und 1 Prise Takt. Dann wird die Masse mit sehr viel Liebe übergossen. Das fertige Gericht schmücke man mit Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten und serviere es täglich mit Heiterkeit.

Katharina Elisabeth Goethe

Möglicherweise wäre die Welt eine bessere, wenn die Menschen dieses einfache, aber wirkungsvolle Rezept beherzigen und umsetzen würden. Aber so wie ich das verstanden habe, funktioniert das bei den Menschen dann doch eher nach anderen Prinzipien, die auf folgenden (von mir frei beobachteten) Grundsätzen beruhen:

  • Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
  • Sei der erste. Immer. Überall.
  • Haben ist besser als brauchen.
  • Traue niemanden, außer dir selbst.
  • Deine eigene Wahrheit ist die Wahrheit.
  • Denke nach. Denke noch mehr nach. Denke immer noch nach. Vergiss dabei zu handeln.

Das führt unweigerlich zu so einigen Verwirrungen und Widersprüchlichkeiten im menschlichen Tun (grundsätzlich ist der Mensch ja ein verwirrtes Wesen, er kann es nur wahnsinnig gut überspielen – die Ratio, you know?). Vorsätze zum Beispiel. Hast Du schon mal am 1. Januar nach dem Wort „Vorsatz“ gegoogelt, meine Liebe? Also wer noch keine hatte, kann sich aus diversen Top 10 Listen die gewünschte Anzahl an guten Vorsätzen einfach zusammenstellen. Das ist für die Menschen unheimlich wichtig. Sie wollen „mehr Sport machen“, „mit dem Rauchen aufhören“, „abnehmen“, „gesünder essen“, „Stress abbauen“ (ein Widerspruch in sich, denn der Vorsatz allein stresst ja schon) oder „mehr Zeit für sich“. Und weil man ab morgen ja ein besserer Mensch wird, kann man am letzten Tag des alten Jahres noch mal richtig auf die Kacke hauen. Und das sollte man auch. Mal so richtig den Bauch voll schlagen mit fettigem Zeug, dabei den Alkohol nicht aus der Hand geben und möglichst viel rauchen. Und um 12 einen Haufen Müll anzünden, den man am Vortag für viel Geld im überfüllten Discounter erstanden hat. Da stehen sie dann: Frierend mit der Sektpulle in der Hand auf den Strassen, heute sind wir alle Freunde und verabschieden das alte, auslatschte Jahr, in der Hoffnung, das neue möge besser werden. Es kann ja nur besser werden!
Nach ein paar Minuten ist der Spaß, der die älteren Herrschaften wohl eher an schlimme Zeiten erinnert und allein schon deshalb verboten gehört, vorbei. Nicht vorbei ist die Party. Denn noch können wir. Morgen ist erst, wenn man geschlafen hat. Und schlafen wollen wir noch lange nicht. So geht die Feierei bis in die Morgenstunden. Und wenn es langsam hell wird und das Ausmaß der Hysterie sich in den Müllbergen auf den Strassen widerspiegelt, gehen wir mal lieber schnell ins Bett. Will ja keiner sehen, den Scheiss. Zum Glück gibt es aber auch dafür Menschen, die das dann alles schön beseitigen. Zahlen sie ja von den Steuergeldern. Haben sie ja ein Recht drauf, auf Sauberkeit und Ordnung.
Irgendwann wird man wach, zwar müde und verkatert, aber doch voller Optimismus. Schließlich ist man ab morgen ein neuer Mensch. Ein besserer. Heute noch nicht so sehr. Da hat man einen Kater und Schonfrist. Aber morgen. Dann geht’s los. Und die Menschen glauben das dann wirklich. Jeden Tag aufs Neue. Bis sie merken, das sie immer noch der gleiche Mensch sind mit den gleichen Lastern und Angewohnheiten. Und das sich im Grunde nichts geändert hat. Und weil das so frustrierend ist, kann man seine Laster gleich wieder doppelt ausleben. Man ist ja auch irgendwie ne arme Wurst und muss schon allein deshalb schonend mit sich selbst umgehen. Also scheiß auf die Vorsätze. Ist jetzt eh schon fast Frühling, Jahr schon fast wieder rum sozusagen. Vielleicht dann ja im nächsten Jahr. Nu lohnt sich auch schon nich mehr…

Ja, meine Liebe, so sehe ich das wirklich. Zu schwarz denkst Du? Denkst Du das wirklich? Oder denkst Du das nur, weil Du dich selbst darin wiederfindest? Mach es doch mal wie die Menschen: Denk noch mal drüber nach. Und nochmal. Aber vergiss dabei das Handeln nicht.

Deine Annemarie.

Senf dazu geben