18_zeitlos_II

Liebste Annemarie,

ist es nicht manchmal erschreckend wie schnell die Zeit vergeht? Vor ein paar Tagen habe ich gedacht: Gerade war noch Neujahr und nun ist schon fast wieder Ostern. Ein klischeehafter Gedanke, ich weiß. Jedes Jahr kurz vor Ostern sagen sich die Leute „Es war doch gerade erst Weihnachten – wie kann denn jetzt schon wieder Ostern sein? Verrückt.“
Ja, verrückt. Die Zeit. Verrückte Sache. Aber weißt Du, was auch verrückt ist? Dass wir das letzte Mal an besagtem Neujahr voneinander gehört haben. Oder besser: Ich von Dir. Und ich es seitdem nicht geschafft habe, Dir zu antworten. Ein Umstand, der so alltäglich wie traurig ist. Denn wie oft vergessen wir in unserem Alltagsgedöns das Wichtige? Freunde, Familie, Verwandte. Vielleicht vergessen wir sie auch gar nicht, sondern denken oft an sie. Und denken „Ich müsste mich mal wieder melden“. Aber dann kommt wieder irgendwas. Irgendwas kommt ja immer. Ein Anruf, eine Rechnung, ein Termin, ein ärgerliches Ereignis, Stress, Hektik, Alltag eben und dann ist man auch wieder viel zu müde. Oder genervt. Morgen, sagt man sich dann. Oder am Wochenende. Aber dann kommt der Freizeit-Stress. Wieder Termine. Wieder ist man müde. Und wieder vergeht eine Woche. Mittlerweile meldet sich das schlechte Gewissen. Zuerst leise, so leise, dass man es im Alltag überhört. Aber das schlechte Gewissen ist ein zäher Hund. Und es wird lauter. Meistens meldet es sich in einer ruhigen Minute. Gerne Abends. Wenn man auf dem Sofa sitzt, müde vom Tag. Im Fernseher irgendeine Serie, mit der man versucht, abzuschalten (abschalten, indem man etwas anschaltet – auch paradox. Aber das ist ein anderes Thema). Naja, man könnte natürlich jetzt mal zum Hörer greifen und sich „mal wieder melden“. Aber nu is auch schon spät. Vielleicht will der andere lieber seine Ruhe haben…versucht man sich einzureden, um den wahren Grund – nämlich, dass man einfach jetzt keine Lust hat zu reden – vor sich selber zu verstecken. Und so geht das immer weiter und weiter. Zwischendurch vergisst man das vermaledeite Sich-melden-wollen wieder. Und plötzlich ist wieder Ostern.
Ganz normal sagst Du? Das geht doch jedem so! Klar. Aber ist es nicht traurig, dass immer alles andere wichtiger ist? Der Termin, die Rechnung, die Serie, unsere Faulheit? Ist es nicht erschreckend, wie inflationär wir mit unserer Zeit umgehen? Als ob wir unendlich viel davon hätten. Und ist es nicht noch viel erschreckender, welche Prioritäten wir im Umgang mit unserer Zeit setzen? Immer denken wir, dass „morgen ja auch noch ein Tag ist“. Und so vernachlässigen wir das, was uns eigentlich ausmacht: Die Kommunikation mit denen, die uns nahestehen.

Bei wem hast Du dich lange nicht mehr gemeldet? Vielleicht ist heute der Tag, an dem Du es mal wieder machst. Einfach so. Warum eigentlich nicht? Ich wette, es wird sich jemand über Deinen Anruf freuen (oder über einen Brief…).

In diesem Sinne, happy Mal-Wieder-Melden, meine Liebe!

Dicker Kuss auf die Nuss,

Huhn

2 Antworten

  1. Eva sagt:

    Ah ich mag deine Texte <3 mal ganz was anderes! weiter so! alles liebe

Senf dazu geben