19_annemariebloggt_auf_und_ein_neues_II

Liebes Huhn,

bei wem habe ich mich schon länger nicht gemeldet, hast Du in Deinem letzten Brief gefragt. Die Antwort ist klar: Bei Dir. Bestimmt hast Du dich auch gefragt, warum dieses blöde Huhn sich wieder mal ewig nicht meldet. Ob sie schon wieder abgehauen ist? Die nächste Reise und niemand weiß, wann sie wiederkommt?
Ja und nein. Ja, ich war schon wieder unterwegs. Aber im Grunde ist es eher so, dass ich während des letzten Jahres, in dem ich dachte, ich sei wieder da, auf Reise war. Verwirrend, nicht wahr? Lass es mich so erklären:

Erinnerst Du dich noch an meinen Brief #7? Ich habe mir Gedanken zum Thema Entscheidungen treffen gemacht.

Entscheide ich mich für das Unbekannte, gehe ich ein Risiko ein. Und um das tun zu können, brauche ich Mut und dafür widerrum Vertrauen.

Vielleicht kennst Du das: Alles läuft so vor sich hin, du bewältigst Deine Aufgaben, nach Außen ist alles tip. Es läuft. Trotzdem fühlst Du dich immer unvollständig und Du fragst Dich, warum. Du hast doch alles, was Du brauchst. Aber irgendetwas fehlt. Du fühlst Dich maximal wie ein halbes Hähnchen. Aber Du findest Dich damit ab, machst weiter und hoffst, dass es irgendwann besser wird. Einfach so. Das passiert natürlich nicht. Was aber irgendwann passiert: Alles Unterdrückte überfällt. Deine Sehnsüchte, Hoffnungen, Träume. Das, was man gedanklich schon längst abgehakt hat, ist plötzlich präsenter als je zuvor. Du hast nun zwei Möglichkeiten: Den ganzen Kram erneut unterdrücken, ihn wieder in die Kategorie „Unerreichbarer Traum“ ablegen und die dann so tief zu verscharren, wie du nur kannst. Oder du gibst dich ihm hin, dem Traum. Lässt dich treiben auf der Welle, spinnst den Traum so lange weiter, bis er dir real erscheint, lässt all die Emotionen zu, die du so lange unterdrückt hast. Und dann, wenn du soweit bist, springst du ab von der Traumwelle und hinein in die Realität, den Traum fest in deinem Herzen und bereit, sich all den Widrigkeiten zu stellen, die sich bei der Umsetzung deines Traumes in den Weg stellen werden. Und das werden sie. Dir ist klar: Du wirst Höhen und Tiefen erleben, du wirst leiden, dich freuen, weinen, lachen, verzweifeln, nicht weiterwissen, hinfallen und wieder aufstehen. So lange, bis du deinen Traum erreicht hast. Du weißt, es wird nicht leicht. Du hast Angst. Angst vor dem Scheitern, Angst vor dem Schmwerz, wenn du auf den Schnabel fällst, aber auch Angst vor dem Erfolg. Und du fragst dich immer und immer wieder, ob du den Absprung wirklich wagen sollst. Aber du weißt auch, dass du nicht wieder zurück willst. Und dass es ok ist, Angst zu haben. Ja, sogar notwendig. Du brachst sie als Motivator genauso wie als wichtigen Berater. Also packst du sie, nimmst sie mit, gibst dir einen Ruck und springst von deiner Traumwelle. Und dann geht’s los.

Liebstes Huhn, ich habe Dich immer dafür bewundert und beneidet, dass du deinen Traum lebst. Ich wollte immer so sein wie Du. So echt, so in sich ruhend, so angekommen, so mit sich im Reinem. Und je mehr ich das wollte, desto unzufriedener wurde ich. Und dann habe ich begriffen, dass ich ein Leben führe, dass ich eigentlich nicht führen möchte und dass ich immer von etwas ganz anderem geträumt habe. Nur habe ich diesen Traum immer wieder in die Kategorie „Unerreichbar“ gesteckt. Manchmal habe ich ihn herausgeholt, bewundernd von allen Seiten betrachtet – und wieder verscharrt. Das ging viele Jahre gut. Ich hatte mich damit abgefunden. Dachte ich. Bis mich die Welle überfallen hat. Ich stand vor der Wahl: Immer wieder mit aller Kraft unterdrücken oder den ganzen Mut zusammennehmen, sich auf der Welle treiben lassen und dann den Sprung in die Realität wagen. Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Ich habe mein altes Leben verlassen, habe all meine Ängste mitgenommen. Sie begleiten mich genauso wie die Freude über mein neues Leben. Beides habe ich immer dabei und beides sind wichtige Berater (ok, die doofe Angst ist schon manchmal nervig, aber dann füttere ich sie mit Schokolade und meistens ist sie dann ruhig). Ich glaube, wir drei meistern das ganz gut.
Meine Liebe, zu einem neuen Leben gehört immer, etwas anderes zurückzulassen. Ich werde hiermit unsere Brieffreundschaft beenden. Nicht, weil ich Dich nicht mehr lieb habe – und diese Zeilen zu schreiben, zerreisst mir das Herz – sondern, weil ich meine ganze Kraft gerade für meinen neuen Lebensabschnitt brauche. Es tut mir unendlich leid und ich hoffe, Du verstehst das. Gleichzeitig bin ich Dir unendlich dankbar, denn ohne Dich hätte ich diesen Schritt niemals gehen können. Du wirst immer bei mir sein. Und wer weiß, vielleicht, eines Tages werden wir uns wiedersehen…

 

In Liebe und Dankbarkeit,

Deine Annemarie

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