Liebste Annemarie,
ich habe lange mit mir gerungen, ob ich dir diesen Brief schreiben, geschweige denn ihn abschicken soll. Deine Nachricht im letzten Brief hat mich zutiefst schockiert. Ok, wenn ich ehrlich bin, habe ich so etwas kommen sehen. Du warst schon so lange unzufrieden mit deiner Situation und ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du nicht in deiner Unzufriedenheit verharrst und sie aushältst, bis du sie kaum noch spürst, sondern dass du auf die Welle aufspringst, Nägel mit Köpfen machst und deine Situation änderst. Und mir war auch klar, dass du mit deiner Entscheidung erst herausrückst, wenn du sie getroffen hast. Für dich alleine. Damit dir niemand mehr dazwischen kommen kann mit irgendwelchen Wenn und Aber. Denn du weißt nur zu gut, dass du dich leicht von anderen aus der Bahn werfen lässt. Deshalb entscheidest du lieber für dich im Stillen.
Und trotzdem bin ich enttäuscht. Enttäuscht, weil ich mir gewünscht hätte, ein Teil deiner Entscheidung zu sein. Enttäuscht, weil ich mich für einen so wichtigen Teil in deinem Leben hielt, den du in die Entscheidung einbindest. Enttäuscht, weil ich gerne mit in deine Überlegungen eingebunden gewesen wäre, weil du wusstest, dass ich dir nie, nie, nie mit einem Wenn oder Aber dazwischen gefunkt hätte. Und enttäuscht, weil du nun nicht mehr da bist – mein Halt, mein Anker, meine Austauschpartnerin in allen Lebenslagen.
Und gleichzeitig bin ich wütend. Wütend, weil du mich einfach so verlassen hast, ohne mir die Gelegenheit zu geben, mich von dir zu verabschieden. Es ist schlimm, wenn jemand einfach geht und für immer aus deinem Leben verschwunden ist. Noch schlimmer ist es, wenn du dich nicht verabschieden kannst.
Und dann kann ich dich wieder verstehen. Einfach, weil ich dich kenne und weiß, dass es dir nicht leicht gefallen ist. Du nächtelang wach lagst. Mit dir gerungen hast. Mindestens drei Anläufe gebraucht hast, mir den Brief zu schreiben und schon im Vorfeld ein schlechtes Gewissen hattest.
Meine Liebe, seit deinem letzten Brief bin ich unendlich verwirrt. Ich denke nur noch an dich. Jeden Tag. In jeder Minute. Und baue nur Scheiss: ich kann nicht schlafen, das Bad steht ständig unter Wasser und Willi ist immer unter seinem Futter begraben. Ich erkenne mich selbst nicht wieder: ich bin unkonzentriert und launisch. So, liebste Annemarie, hast du mich noch nie erlebt. Und ich mich auch nicht. Zuerst dachte ich: Ist normal, kein Problem, geht wieder weg. Aber nach nun gut zwei Wochen ist es kein Stück besser und ich werde langsam wahnsinnig. Deshalb habe ich mich nun doch dazu entschlossen, dir noch ein letztes Mal zu schreiben, in der Hoffnung, dass du diesen Brief noch erhältst. Um mich zu verabschieden und in der Hoffnung, dass du es dir noch einmal anders überlegst, mich mitnimmst in dein neues Leben und mir wieder schreibst…
Dein (hoffendes) Huhn…
Ich hoffe Annemarie meldet sich wieder 🙁
Wer weiß, wohin das alles noch führt 😉