Meine Liebe,
dies wird jetzt der letzte Brief, den ich dir schreibe. Nach weiteren zwei Wochen des Wartens, Hoffens und Selbstmitleids habe ich begriffen: Du kommst nicht mehr zurück. Keine Ahnung, was mit meinen Briefen passiert ist. Gut, der Streik der Post mag das Ganze verzögert haben … dennoch glaube ich nicht, dass mit dem Streik eine menschliche Nahrungsumstruktierung auf Zellulose einher gegangen ist, so dass ich davon ausgehe, dass meine Briefe noch existieren. Ich habe auch immer noch nicht die leiseste Ahnung, warum du auf einmal alle Zelte abgebrochen hast, abbrechen musstest. Und ich frage mich noch jeden Tag, was da wohl in dir vorgegangen ist, die ganze Zeit, in der wir uns geschrieben haben. Ich weiß nicht, ob du lange einen Plan geschmiedet hast oder es eine Handlung aus dem Affekt war. Ich weiß nicht, ob ich es als unehrlich empfinden soll, dass du mich nicht vorher eingeweiht hast. Und ich weiß nicht, ob ich verletzt sein soll, dass du selbst zu mir keinen Kontakt mehr möchtest. Ich schwanke zwischen Verletztheit und Verständnis.
ABER – und das ist das gute an Trennungsschmerz – ich weiß, dass es vorbei gehen wird. Wenn ich Abschied nehme. Und genau das tue ich jetzt. Ich nehme Abschied von dir, meine Liebe und bewahre unsere gemeinsame Zeit in meinem Herzen. Es war eine sehr schöne Zeit, sie hat mir viel gegeben. Und genau das soll sie bleiben. Ich möchte nicht, dass sie von meiner Trauer, Wut und Verzweiflung überlagert wird, bis sich die Erinnerungen irgendwann dunkel färben und alle Fröhlichkeit und Leichtigkeit, die wir geteilt haben, aus den Bildern in meinem Kopf radieren.
Ich möchte uns als das in Erinnerungen behalten, was wir für mich waren: Zwei Freundinnen, die all ihre Gedanken und Gefühle miteinander geteilt haben, die sich gegenseitig Halt gegeben haben und die sich einander so vertraut waren, dass wir sogar unsere kleinen körperlichen Gebrechen zur selben Zeit gepflegt haben. Wenn ich meinem Selbstmitleid und den negativen Gefühlen weiterhin die Oberhand lasse, werde ich uns so nicht in Erinnerung behalten können. Das möchte ich nicht. Und außerdem wird mein Leben an mir vorbeirauschen, während ich weiterhin in der Vergangenheit lebe und dort festklebe. Das möchte ich genauso wenig. Und zu guter Letzt wird meinem treuen Begleiter Willi auch irgendwann der Kragen platzen. Und das möchte ich am aller wenigsten. Die Sache ist ja auch die: All meine Trauer und Verzweiflung wird dich nicht zurückbringen – und mich eben nicht voran.
Deshalb, liebste Annemarie, sage ich heute: Lebe wohl! Und ich meine das ganz ernst. Lebe wohl, denn du hast es verdient. This is not the End….Vielleicht der Anfang von etwas Neuem – man muss nur daran glauben….
Dein Huhn.
🙁
aber bastian: this is not the end 😉