26_Annemarie_kritsiche_resistenz_02

Liebe Frau Huhn,

zu Ihrer Beruhigung: Auch ich war mir sicher, dass ich Ihnen nicht antworten würde, aber angesichts Ihrer Offenheit im letzten Brief ist das nun keine Option mehr. Denn was wäre ich für ein A*****-Hahn, einem Huhn nach Seelenstriptease (denn so nannten Sie es ja) nicht zu antworten? Mag sein, dass ich manchmal nicht so feinfühlig reagiere (hey, ich bin auch nur ein Federtier) und möglicherweise bin ich wirklich etwas zu weit gegangen, aber jemanden nach so einem ehrlichen Brief nicht zurückzuschreiben, geht nun wirklich nicht. Zumal Sie mir auf eine merkwürdige Art und Weise immer sympathischer werden…das ist mir in den letzten Tagen, die ich mehr oder weniger entspannt am Meer verbracht habe, klar geworden.
Wobei ich gleich beim Thema wäre: Empathie. Denn darum geht es uns ja. Zumindest haben Sie gefragt, warum ich mich mit dem Begriff „Emotional Correctness“ beschäftige. Ja, Sie haben Recht: Ganz unbelesen bin ich nicht. Deshalb weiß ich auch um den politischen Kontext des Begriffes. Ich habe vor einiger Zeit danach recherchiert, zunächst aus beruflichen Gründen, denn ich verdiene mein täglich Korn mit dem Schreiben – hoho, Frau Huhn, hätten Sie das für möglich gehalten? – und sollte einen Artikel dazu schreiben. Ich hatte vorher noch nie davon gehört, aber der Gedanke dahinter gefiel mir. Ich glaube auch, dass Empathie der Schlüssel zur Kommunikation ist. Und letztere ist nun mal das „Werkzeug“, wenn man es so nennen mag, durch das sich unsere soziale Welt manifestiert. Was wären wir Federtiere ohne gelingende Kommunikation? Wir wären alleine. Jeder für sich. Denn Kommunikation ist das, was uns verbindet. Ich denke, da sind wir uns einig. Nur leider gelingt es uns häufig nicht, uns untereinander zu verständigen. Nicht, weil wir eine andere Sprache sprechen, als unser Kommunikationspartner, sondern weil jeder in das Gesagte oder Geschriebene seinen eigenen Kontext schiebt: Die Welt in der er lebt und aufgewachsen ist, Erfahrungen, die er gemacht hat und auf Grund derer er sein Verständnis von Welt konstruiert hat – letztendlich auch, oder vielleicht vor allem, seine aktuelle Gefühlslage. Wir können nicht wertfrei kommunizieren, was wir aber können, ist unserem Gegenüber mit Empathie entgegentreten. Und das bedeutet für mich, dass wir bereit sind, unseren eigenen Kontext weitestgehend zu verlassen und uns auf den unseres Partners einzulassen. Nur so können wir verstehen, was der andere meint. Oder besser: Wir bekommen eine Ahnung davon, denn wirklich verstehen ist fast unmöglich, denn wir können ja schlecht in den Kopf des anderen sehen. Aber es ist der Weg, der uns näher bringt – genauso wie Sie es zitiert haben: „trying to find real compassion and connection to each other“.

Das, werte Frau Huhn, ist meiner Meinung nach auch die Voraussetzung für Kritik, die – das haben wir beide ja schon eindrucksvoll erfahren – immer eine besondere heikle Angelegenheit ist. Das fängt schon mit dem Begriff an, denn oft wird unter Kritik das Aufzählen von Mängeln an einer Sache verstanden. Dabei geht es doch um die prüfende Beurteilung und dient damit der eigenen Urteilsbildung, die wir brauchen, um unsere Wirklichkeit zu konstituieren. Also im Grunde eine Notwendigkeit. Soviel zum Begriff. Würden wir die Kritik und als Handlungsform das Kritisieren als eben diese Notwendigkeit betrachten, würden wir der emotional correctness oder einer empathischen Kommunikation um einiges näher kommen.
Aber was passiert, wenn wir von Kritik sprechen? Wir verstehen es als Bemängelung. Das ist von vornherein negativ aufgeladen und so fällt es uns schwer, es nicht persönlich zu nehmen, wenn wir kritisiert werden. Wir verstehen die Kritik dann nicht als Möglichkeit, uns zu reflektieren und uns aus der Selbstreflexion weiter zu entwickeln, sondern bleiben im Karussell des persönlichen Angriffs stecken. Je nachdem, was wir für eine Persönlichkeit haben, fällt dann unsere Reaktion aus: Haben wir ein geringes Selbstwertgefühl und neigen zu Selbstzweifeln, stellen wir uns vielleicht komplett in Frage, verfallen in Panik oder Selbstmitleid. Manche gehen auch in Abwehrhaltung, schalten auf Stur, wollen die Kritik nicht annehmen. Oder sie gehen auf Angriff, weil sie Kritik mit Krieg verwechseln und denken, sie müssten sofort zurückschiessen. Wie auch immer, das Thema Kritik ist ein schwieriges und wahrhaftige, ehrliche Kritik zwar eine Notwendigkeit, aber leider auch sehr selten.
Warum ich das Schreibe? Ich glaube, liebe Frau Huhn, dass auch das hier nicht unsere letzten Briefe werden und da Sie mir, wie gesagt, immer sympathischer werden und der Austausch mit Ihnen mir auf eine bisher unbekannte Art lieb geworden ist, würde ich doch ganz gerne unsere Auffassungen von Kritik einmal abstecken. Damit wir nicht noch einmal in die Situation kommen, dass aus Kritik Beleidigung wird oder sich jemand zur Rechtfertigung genötigt sieht. Denn das ist meiner Meinung nach keine gute Ausgangsposition für eine empathische Kommunikationskultur, nach der wir beide streben.
Wie also halten Sie es mit der Kritik? Kritikresistent, kritikschwach, kritikeuphorisch oder doch etwas ganz anderes?

Ich warte gespannt auf Ihre Antwort,

Ihr Willi.

 

P.S.: Das mit Ihrem Willi daheim nehme ich selbstverständlich zurück – auch wenn ich mittlerweile nichts dagegen hätte, Sie hier persönlich anzutreffen. Zumindest wüsste ich dann ein wenig mehr über den Klang Ihrer Stimme…

 

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