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Liebe Frau Huhn,

heute rolle ich das Feld mal von hinten auf. Zunächst zu Ihrer Frage: Vielleicht – nein, sehr sicher – können Sie aus meiner Anrede schon herauslesen, wie ich zu dem Thema „Duzen“ stehe. Um ehrlich zu sein, halte ich das zu diesem Zeitpunkt für besser, wenn wir uns weiterhin siezen. Ich möchte nicht, dass Sie sich beleidigt oder vor den Kopf gestoßen fühlen, also möchte ich Ihnen das kurz erklären. Ich glaube, das Duzen würde uns eine Nähe zueinander verschaffen, die uns nicht gut tut, weil Sie schnell zu Missverständnissen führt oder Erwartungen schürt, die der andere möglicherweise nicht erfüllen kann. Ein Beispiel: Wenn ich schreibe „Ich habe heute an Sie gedacht, als ich beim Bäcker über meine schlechte Laune gestolpert bin und mir Ihre Ausführung zur inneren Einheit im letzten Brief eingefallen ist“, wird das nicht weiter problematisch. Sie werden sich darüber freuen, dass Ihre Briefe nicht ganz spurlos an mir vorbeigehen, aber werden auf Grund der höflichen Distanz weder Erwartungen, noch Gefühle, die in eine romantische Richtung gehen können, aufbauen. Ganz anders, wenn ich schreiben würde „Ich habe heute an Dich gedacht… “ – hier ist schon impliziert, dass es eine gewisse Nähe zueinander gibt. Und am Ende passiert es noch, dass wir uns durch die Ganze Duzerei ineinander verlieben – und das, liebe Frau Huhn, wollten wir ja gerade nicht.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich schätze unseren Austausch sehr und möchte ihn auch nicht mehr missen. Mir gefällt Ihre kluge, ironische Schreibweise, ich mag Ihre Sicht auf die Dinge und Ihre Lebensart fasziniert mich. Aber wir sind auch einfach sehr verschieden und leben nun mal in ganz unterschiedlichen Welten. Eine zu starke emotionale Bindung oder gar das Verlieben ineinander würde uns beiden mehr schaden, als gut tun. Da bin ich sicher. Also verstehen Sie mich auch da nicht falsch… ich bin mir sicher, dass Sie ein äußerst verliebenswertes Huhn sind, aber machen wir uns nichts vor: verliebtsein ist auch anstrengend. Oder vor allem anstrengend. Erst recht, wenn man so unterschiedlich ist, wie wir…also es wäre mir wirklich lieber, wir halten es beim Sie. Ich hoffe, Sie verstehen das. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das genauso sehen, wie ich.

So, und bevor ich mich noch tiefer in das Schlamassel (auch ein schönes Wort, lange nicht mehr benutzt) rede…wechsel ich lieber zu dem Thema, das Sie so eindrucksvoll im letzten Brief beschrieben haben: Die innere Einheit. Momentan ist es wohl eher so, dass ich statt innerer Einheit hauptsächlich inneren Schweinehund in mir finde. Und zwar nicht einer von der Sorte, den man wie beim Wohnungsputz einfach nur mal kurz überwinden muss und dann geht das schon, sondern einer von der Sorte, der jegliche Einfälle, die für das Verrichten der täglichen Arbeit notwendig sind, aufrisst. Und zwar vollständig. Vielleicht kennen Sie das Dilemma: Sie brauchen Einfälle, Sie müssen abliefern, aber Sie können nicht, haben keine Energie, alles nervt. Kurz: Sie kriegen einfach nix hin. Stattdessen sehnen Sie sich nach Ruhe. Das widerrum macht Sie noch unruhiger, denn Sie müssen und wollen ja liefern und fühlen sich schlecht, weil Sie so energielos sind. Sie denken: Ich muss mich nur zusammenreißen, dann geht das schon. Aber eigentlich wollen Sie sich gar nicht zusammenreißen, sie haben den Schnabel voll vom Zusammenreißen. Aber dann überwiegt doch das Zusammenreißen. Sie schaffen es irgendwie, liefern ab – und das auch noch gut. Aber beim nächsten Zusammenreißen wird es noch schwerer. Irgendwie schaffen Sie es wieder. Und wieder gut. Denn wenn Sie etwas können, dann ist es Leistung bringen im richtigen Moment. Danach fallen Sie wieder in sich zusammen. So geht das ein bisschen. Das Zusammenreißen wird von Mal zu Mal schwerer. Bis Sie irgendwann denken: Es muss sich etwas ändern. Aber mittlerweile sind Sie schon so energielos, der Schweinehund entpuppt sich als gar kein Schweinehund, sondern als Saugmonster, das sich begierig an Ihrer Energie labt und Sie können sich nicht einmal mehr vorstellen, was sich ändern müsste. Oder besser: Was Sie überhaupt noch ändern können. So ohne Energie. Sie denken nur noch übers Zusammenreißen nach. Die innere Einheit ist nur noch ein grauer Dunst. Wenn überhaupt… Also, Frau Huhn. Was tun Sie? Wie lösen Sie das Problem?

Ich bin gespannt…

Ihr Willi.

 

P.S.: Bitte entschuldigen Sie… das alles. Ich habe wohl zu tief in die Flasche geschaut, während ich das schrieb…

 

Senf dazu geben