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Meine Liebe,

wie schön, dass Du nun auch die Vorzüge des sonntäglichen Ausruhens kennen- und sogar schätzen gelernt hast! Aus Dir wird nochmal ein richtig entspanntes Huhn, wirst sehen. Und ich bin stolz auf Dich, dass Du dich einfach so auf eine Einladung der Enten eingelassen hast – wenn das mal nicht doch etwas zu wild war, Du übermütiges Hühnchen. Im Ernst: Gewohnheiten sind gut und wichtig, aber trau Dich ruhig öfter mal hinaus ins wilde Ungewisse außerhalb Deiner festgezurrten Strukturen. Du wirst sehen, wie viel leichter dann vieles wird. Versprochen!

Willi geht es übrigens sehr gut. Er hat sich wirklich prächtig entwickelt. Ach, ich werde den Tag nie vergessen, an dem wir den kleinen Wurm gefunden haben. Es war so heiß und der arme lag schon halb vertrocknet am Straßenrand. Wie gut, dass wir ihn mitgenommen haben! Und so verschüchert war er. Mochte gar nicht aus seinem Körbchen und hat sich bei jedem Geräusch eingerollt…was er wohl alles durchmachen musste, bevor wir ihn gefunden haben?
Und heute tollt er herum, inspiziert neugierig alle Ecken des Gartens und legt sich sogar mit den Tauben an. Du erkennst ihn kaum wieder. Naja, die Nachbarn reden zwar immer noch, aber Du weißt ja wie das ist: Macht man einmal etwas anders, als alle anderen, ist man gleich das Exoten-Huhn. Von „verrücktes Huhn“ bis „hält sich wohl für etwas Besseres“ war alles dabei. Ich bin immer noch nicht dahinter gekommen, was sie dazu veranlasst, so zu urteilen und zu verurteilen. Ist es die Angst vor „dem anderen“, vor etwas, das sie nicht kennen? Oder ist es sogar Neid, weil sie sich auch gerne trauen würden, etwas anders zu machen, aber nicht wissen, wie sie es anfangen sollen? Ich finde es sehr schade, dass sie nicht in der Lage sind, bei sich zu bleiben, sondern sich mehr darum kümmern, was andere machen oder nicht machen. Wie ist das in der Stadt, Annemarie? Ist es dort anders, weil anonymer? Oder müssen auch da alle in ihrer Gesellschafts-Uniform Spalier stehen?

Leider habe ich heute nicht so viel Zeit. Der Willi möchte seinen abendlichen Gang machen und zerrt schon an mir herum. Damit Du mal siehst, wie prächtig er sich macht, habe ich noch schnell ein paar Bilder aus dem letzten Jahr beigefügt. Komm bald her, Willi vermisst Dich auch!

Es drückt Dich,

Huhn

P.S.: Alle anderen Neuigkeiten folgen in Kürze! Nun muss ich aber wirklich….

 

Senf dazu geben