sonntag_02

Liebstes Huhn,

Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich über Deine Antwort gefreut habe. Tatsächlich war ich etwas besorgt, ob Du mir überhaupt antwortest, dabei konnte ich mir eigentlich schon denken, dass Du wusstest, dass ich nur eine Weile abgetaucht bin. Und ja, Du hast Recht – wir sind erwachsene Hühner und brauchen das Spiel mit den Rechtfertigungen und Gewissensbissen nicht mehr. Du wirst es kaum glauben: Sogar ich habe mich weiterentwickelt. Manchmal gelingt es mir sogar schon, Dinge etwas gelassener zu sehen. Und ich lerne immer dazu.
Heute zum Beispiel: Es ist Sonntag. Du weißt, was das heißt. Normalerweise hasse ich diesen Wochentag wie keinen anderen. Weißt Du noch, wie ich immer gesagt habe „I don’t do Sundays.“? Natürlich weißt Du es noch, so wie ich Dich mit meinen Ausführungen über meine Befindlichkeiten an diesem Tag genervt habe. Ich habe tatsächlich nie verstanden, was dieses Sonntag-Ding soll. Der Tag, an dem man sich ausruht. An dem man mit seiner Familie Zeit verbringt. Und ich dachte immer nur: „Ausruhen? Pfff…. Zeit mit der Familie – gut und schön, aber als Single? Was soll ich bitte mit dem Tag anfangen?“. Also habe ich einfach immer so getan, als ob es diesen ungeliebten Tag nicht gibt und mich in Arbeit gestürzt. Warum auch nicht? Am Ende des Tages fühlt man sich so produktiv wie die ganze Woche nicht, weil man ja nicht wie alle anderen am See rumgelegen hat, sondern emsig geackert hat. Tag überlistet. Ha! Zwar mit der Folge, dass man sich am Montag wie gerupft fühlt und gerne frei gemacht hätte. Ging aber ja nicht, weil das Arbeitsrad sich am Montag wieder dreht und man als Freelance-Huhn natürlich erreichbar sein muss. Und irgendwann ist es dann auch schon wieder egal, ob man Samstag frei macht oder nicht. Wenn man einfach weitermacht, merkt man oft nichts. Ziemlich lange. Aber irgendwann ist Schicht im Schacht. Aber jetzt ist alles anders. Seit heute finde ich Sonntage großartig. Und das kam so:
Deinen Hinweis zu meiner Überraschungs-Ei-Theorie habe ich mir sehr zu Herzen genommen. Aber wie das manchmal so ist – man nimmt sich etwas zu Herzen, denkt „ja, stimmt“, will es auch ändern und umsetzen, aber man weiß nicht wie. Man dreht sich im Kreis. Will es doch sehr gerne anders machen, aber kriegt es einfach nicht gebacken. Und dann, wenn man es am wenigsten erwartet, klappt es. Einfach so. Ohne fokussieren, ohne Anstrengung. Und so war das heute. Ein Sonntag wie aus dem Bilderbuch. Mit See (da sitze ich übrigens gerade), Kuchen und ohne Arbeit. Voll gut. Wusste gar nicht, wie toll das sein kann. Ich habe ein bisschen mit den Enten geschnackt, das war sehr nett. Vielleicht machen wir nächstes Wochenende wieder was zusammen. Die haben mich nämlich auf ihre Insel zum Picknick eingeladen. Haben die sich da einfach ins Wasser gebaut. Ziemlich cool. Ich war sehr beeindruckt. Ich bin auch gespannt, was die so essen ( hoffentlich vertrag ich das Essen…uiuiui).
Ach Huhn, jetzt verstehe ich endlich, was Du an Sonntagen so gut findest. Und bald können wir hoffentlich einen Sonntag zusammen nichts tun. Denn vielleicht kann ich Dich schon sehr bald besuchen. Wie fändest Du das?Aber erzähl doch mal von Dir. Was hast Du im letzten Jahr gemacht? Wie ist es Dir ergangen? Was gibt es Neues?
Ich will alles wissen!

Ich bin gespannt und freue mich auf Deinen nächsten Brief,

Deine Annemarie

P.S.: Was macht eigentlich Willi?

 

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